Das Unheil in der Region rund um die Ahr ist nicht in Worte zu fassen. Nach der Flutkatastrophe in Teilen Deutschlands sind wir als Helfer an der Ahr. Wir sind im Ort Dernau in einem Weingut und packen an, wo es geht. Was wir dort erlebten, möchten wir teilen.
An diesem Samstag, den wir uns zur Fahrt ins wunderschöne Ahrtal ausgesucht haben, scheint die Sonne, es herrschen milde, sommerliche Temperaturen. Die hohe Luftfeuchte fühlt sich etwas erdrückend an, aber alles in allem ist es ein schöner Tag. Über die Autobahn nähern wir uns, von Süden kommend, dem Ahrtal. Ein netter, in oranger Warnkleidung gehüllter Straßenmeister öffnet uns die eigentlich gesperrte Ausfahrt. Wir konnten vermitteln, bei wem wir angemeldet sind und so dürfen wir passieren.
Wir möchten ein Weingut besuchen. Wie wir es sooft tun, um ein Bild vom Winzern vor Ort zu bekommen, möchten wir möglichst viele Eindrücke mitnehmen, von der Art, wie dort gearbeitet wird. Die Motive der Winzerinnen und Winzer interessieren uns bei solchen Trips immer, Motivationen, Perspektiven und Einschätzungen. Wir sprechen dann viel über Herausforderungen, die der Klimawandel stellen wird und auch bereits tut. Manchmal geht es auch um Schicksale, um Geschichten, die man dem Wein nicht ansehen kann, die aber dennoch nötig sind, erzählt zu werden. Heute sind wir zu viert, haben einiges vor und daher zwei Freundinnen zur Verstärkung dabei.

Also der hat noch zwei Fässer übrig
Winzer aus Dernau
Wie im falschen Film
Der Besuch des Weinguts gestaltet sich dann doch etwas mühseliger: Die Zufahrtsstraße nach Dernau, über einen großen Berg und viele Serpentinen verlaufend, ist schon ziemlich zugeparkt. Die Aussicht von dort überzeugt uns dennoch auf Anhieb. Bis wir das Chaos sehen. Wir fahren weiter bis wir zum Glück kurz vor dem Ortseingang noch einen guten Parkplatz bekommen. Einfach echt viel los. Viele Fremde, wie wir es auch sind, die sich häufig viele Rationen mitgenommen haben und einen längeren Tag zu planen scheinen. Wir packen dann auch einmal aus. Spaten Nummer eins, Nummer zwei, Nummer drei, Besen zwei-, dreimal, einmal Handschuhe für alle. Den Overall anziehen, die Gummistiefel auch und das Wasser, das wir vorher für den warmen Tag besorgt haben. Falls jemand mal ein bisschen Kreislauf bekommt, noch Milchbrötchen und Waffeln, die wir in eine große Tüte werfen. Abmarsch!






Über die kurvige Straße geht es in den Ort hinein. Wir waren noch nie hier, kennen uns nicht aus und folgen einfach dem Pulk, der sich in Richtung irgendwo bewegt. Das Handynetz funktioniert an diesem Tag nicht, wir können Google Maps und ähnliche leider nicht nutzen. Langsam verstehen wir jedoch, wo sich die Ahr befindet und wo wir hin müssen. Das ganze Orientieren ist dazu auch noch schwierig, weil wir dauernd Traktoren, Mardern, Dachsen und blau-weißen LKW ausweichen müssen. Ein Naturschutzgebiet mit seltenen Tieren ist dieser Teil des Ahrtals nicht, Männer und Frauen in grün steuern die schön titulierten Fahrzeuge.
“Mit den Örtlichkeiten kenne ich mich nicht genau aus”
Weil wir nicht exakt wissen, wo wir hingehen müssen, fragen wir einen Polizisten, der gerade mit seiner Kollegin in einen Wagen steigen möchte, nach dem Weg. Er kenne sich mit den Örtlichkeiten nicht genau aus, sagt er und scheint sogar etwas peinlich berührt. “Schade”, denken wir uns, sehen aber dann sein Wappen auf dem Arm, das bezeugt, dass der Herr auch ein ortsfremder Hesse ist.
Die genauen Eindrücke des Weges, den wir etwa 1,5km gehen, möchten wir nicht schildern. Nur eins sei erwähnt: (Bewegt-) Bilder und Worte können Gefühle, die sich beim Anblick dieser Promenade auftun, nicht annähernd dem Ausmaß dieser Katastrophe angemessen reproduzieren. Zu viel Privates ist nicht mehr. Es ging einfach zu schnell für viele(-s). Tick, tack. Vorbei.
Nachdem wir dann von einem anderen Herrn eine valide Wegbeschreibung (“Immer weiter, immer weiter…”) erhielten, haben wir auch recht schnell unser Ziel ausmachen können. Das besagte Weingut liegt zentral, vielleicht 80m von der Ahr weg. Wir sagen irgendjemandem, von dem wir den Namen heute noch nicht kennen, wir hätten uns über Instagram verabredet, wir kämen zum helfen! Derjenige sagt uns, “Ach ja, könnt ihr mal gerade anpacken?”. Im Geschehen.

Eine Cuvée aus Emotionen
Anzupacken war es an einem Bottich aus Plastik, den Winzer*innen so häufig für ihre Lese nutzen, um darin Trauben zu transportieren. Trauben waren nicht darin dieses Mal. Gut, es ist auch noch nicht Herbst, aber es war Schlamm darin. Und Flaschenscherben. Und Gläser. Und Möbelteile, Bücher, Fotos. Und alles Mögliche andere. Wir wuchten mit vier Mann gemeinsam diese Box um, der Schlamm muss zusätzlich herausgekratzt werden mit einem Spaten. Das Weingut, in dem wir heute zu Gast sind, empfängt uns sehr gastfreundlich, Türen hat es keine mehr. Auch das dazugehörige Wohnhaus ist innen völlig in Schlamm getaucht, es wird geschoben, gegraben, gekippt, geschaufelt, gekehrt. Einfach alles vor die “Tür”, wo wir dann einen dicken Schlauch anlegen, um die Dreckmassen fortzuspülen. Unglaublich, was dort ein Wasser herauskam. Erst später wurde uns klar, dass das Wasser aus dem Keller gepumpt wurde und keinem Hydranten entsprang.
Plötzlich stopp! Ein Feuerwehrmann geht hektisch am Gut vorbei, ruft “Alles stehen und liegen lassen, ab in die Weinberge! Ihr müsst sofort weg!”. Panik bricht aus. Nicht noch einmal. Bitte nicht. Wir lassen alles stehen und liegen, das ganze Dorf lässt alles stehen und liegen. Ohne Orientierung laufen wir wieder einmal einer größeren Gruppe nach. Es könnte sein, dass ein Damm, eine Talsperre oder was auch immer gebrochen sei. So ganz wisse das niemand, hört man immer wieder. Lieber würde jedoch einmal zu viel evakuiert werden als einmal zu wenig. Der Weg hoch in die Weinberge ist nicht nur körperlich (selbst für uns Anfangs-Zwanziger) anstrengend. Auch werden wir mit hochemotionalen Situationen konfrontiert, wie wir sie nie erlebten. Immer wieder Hubschrauber mit Menschen an der Winde, viel Aufregung. Auch an dieser Stelle lassen wir keine hochpräzisen Zeilen folgen, es sollte beim vorherigen Satz bleiben.
HIER KANNST DU SPENDEN

Nach einer fälschlichen Entwarnung und einem zweiten, viel energischeren Aufruf zum Laufen in die Weinberge, die deutlich oberhalb des Dorfes liegen, folgt endlich die wirkliche Entwarnung. Alle wieder nach unten, auch die die nicht mehr alleine laufen können. Endlich konnte die Arbeit so richtig anfangen.
Vielleicht müssen wir ein paar Sachen abreißen, dann bauen wir’s halt neu!
Dernauer Winzer
Wir teilen uns unabgesprochen auf, unsere fleißigen Mitstreiterinnen machen sich im Innenhof an die Arbeit, wir beide versuchen der Lage im Innenraum Herren zu werden. Überall Schlamm, überall alles kaputt und die Gefahr, irgendwo hineinzutreten, wo man nicht hineintreten sollte. Doch das ist dann zweitrangig. Wir schnappen uns Spaten und Besen und füllen Bottich nach Bottich, schippen teils rare, aber nun vernichtete Weinflaschenreste in die Boxen und überlegen uns Strategien, wie wir diesen einen Raum, den wir uns ausgesucht hatten, frei bekommen. Im Weingut waren wir davor noch nie. Haben tatsächlich auch noch keinen Wein von hier in der Hand gehabt. Wir haben einfach moderne Medien genutzt und gehofft, helfen kommen zu dürfen.

Nachdem der Raum tatsächlich weitgehend vom Schlamm und all dem zerstörten Kram befreit war, machen wir eine kleine Trinkpause und sind über eine hellblaue Kiste überrascht: Es ist eine Warmhaltebox und was dieser Box entspringt, ist ein heißer, dampfender, von Brötchen begleiteter Spießbraten. So einer mit feiner Zwiebelfüllung und Paprika-Kruste. Wir merken, die Lage im Innenhof hat sich deutlich entspannt, man scheint sich auf einen Feierabend vorzubereiten. Auch wir stellen uns dann in der Braten-Schlange an, erwarten unser Brötchen freudig und werden auf die strengen Hygiene-Regeln hingewiesen: “Sind die Hände auch wirklich sauber?”, fragt uns ein uns unbekannter Mann. Wir zögern kurz, wir hatte uns die Hände mit dem nicht wirklich sauberen Keller-Wasser gewaschen. Es drehen sich zwei, drei andere Männer zu uns. Wir fangen alle an zu lachen und beißen in unsere Brötchen.
Wir sind an diesem Abend, es war dann etwa 19:00 als wir aufbrachen, mehr als geschafft. Dennoch haben wir eine Gemeinde und eine Gemeinschaft erlebt, wie sie kein Fernsehbild, kein Zeitungsartikel und wahrscheinlich auch nicht dieser Blog-Eintrag angemessen zeigen kann. Die Orte, in denen das Unheil geschehen ist, sind alle voller Menschen. Tausende sind an diesem Tag in diesem so kleinen Ort an der Ahr zusammengekommen, um zu zeigen: Ihr seid nicht allein. Wir sind bei euch und helfen. Das ist unser aller Verantwortung. Und so bleibt uns ein unglaublich hoffnungsvolles Bild auf die Lage dort. Wir sind uns sicher, dass ihr alle das alles in Rekordzeit wiederaufbauen werdet, das ihr uns vom wundervollen Ahrtal überzeugen werdet, das ihr dort wieder die allergeilsten Pinots produzieren werdet. Wir kommen wieder. Versprochen.
Vielen Dank, Sarah und Esther für eure Hilfe ♥